Gänsehaut und ein unendliches Glücksgefühl
Heute um 10.45 Uhr hat Gunter Morgenthal Santiago de Compostella, das Ziel aller Pilger auf dem Jakobsweg, erreicht. 775 Kilometer liegen hinter ihm, seit er am Morgen des 8. Juni im französischen St. Jean Pied de Port gestartet ist. Am Ziel seiner Pilgerreise ist er aber noch längst nicht: Morgen schon geht es weiter: Noch einmal 206 Kilometer von Santiago über das Kap Finisterre – das bei vielen Pilgern als das eigentliche Ende des Jakobswegs gilt – und Muxia wieder zurück nach Santiago. Spätestens am 24. Juli will er dort wieder eintreffen, um sich das große Fest zu Ehren des heiligen Jakobus nicht entgehen zu lassen.
Ideales Pilgerwetter auf dem Jakobsweg
12. Juli: Weil Gunter Morgenthal heute Nachmittag im 30 Kilometer entfernten Azúra ankommen will, macht er sich schon um 6.30 Uhr nach einem Frühstück mit noch warmen Croissants rechtzeitig auf den Weg. In Palas de Rei ist der Himmel wolkenverhangen. Ideales Pilgerwetter, denn dann wird die Hitze nicht so drückend sein. Auf seiner 35. Etappe ist der Buxtehuder top fit. Nach rund 700 Kilometern sind seine Beinmuskeln sehr ausgeprägt, so dass es ihm nicht schwer fällt, den schweren Rucksack zu tragen. Der Camino führt wie gestern durch Wiesen und Wälder und er hält eine Zeitlang mit dem Tempo einer jungen Pilgergruppe mit.
In Casa Nova legt er vor der Bar „Die zwei Deutschen“ eine Pause ein, trinkt einen Café con Leche (Milchkaffee) und ein Glas Zumo de Naranja (frisch gepressten Orangensaft). Über Furelos erreicht er gegen halb elf Melide. Zeit für eine Stärkung! In einer Pulperia bestellt er – wie alle Pilger – eine Portion Pulpo (Krake) und eine Schale Vino Tinto (Rotwein) als zweites Frühstück. Die Pulperia erinnert an ein Brauhaus mit langen Holztischen und -bänken. In drei großen Töpfen köcheln die Kraken. Ihre Arme werden in Ringe zerteilt auf Holztellern mit Salz, viel Paprika und Olivenöl serviert werden. Ein paar Holzspieße rein, fertig und unbeschreiblich lecker. Nach einer weiteren Rast in Ribadiso de Baixo, sind die 30 Kilometer um viertel nach drei geschafft.
Weit und breit keine Herberge in Sicht
13. Juli: Eigentlich will Gunter Morgenthal heute nur 20 Kilometer bis Pedrouzo pilgern. Doch als er dort – nach zwei kurzen Pausen in Calzada und in Boavista – schon gegen zwölf ankommt, beschließt er, noch ein paar Kilometer weiter zu gehen. „Jeder Kilometer, den ich nach Pedrouzo pilger, macht die letzte Etappe bis Santiago kürzer“, schreibt er per WhatsApp. Der Jakobsweg führt jetzt durch Pinien-, Eucalyptus- und Mischwälder. Als er nach weiteren neun Kilometern gegen halb vier in Lavacolla ankommt, ist weit und breit keine Herberge in Sicht. Schließlich findet er eine kleine Privatpension, in der er für diese Nacht unterkommt. „Morgen sind es also nur noch elf Kilometer bis Santiago de Compostella“, schreibt er und ist sich sicher, dort um 12.00 Uhr pünktlich und entspannt zur Messe anzukommen.
Bei angenehmen Temperaturen um die 23 Grad setzt er sich in den Garten einer Bar, lässt die mehr als 760 Kilometer, die er in den letzten 36 Tagen gepilgert ist, Revue passieren. Dank seiner Silbersocken hat er die oft beschwerliche Strecke ganz ohne Blasen an den Füßen überstanden. Und von den Silber-T-Shirts sagt er: „Die sind geil!“ Schließlich haben sie ihm an heißen Tagen und in kühlen Nächten gute Dienste geleistet und ihn auf der gesamten Strecke vor unangenehmem Körpergeruch bewahrt.
Ein neues Sternenfeld im Pilgerpass
14. Juli: „Jaaaa, ich bin nach meiner langen Reise in die Tiefe in Santiago de Compostela angekommen!“ schreibt uns Gunter Morgenthal heute Vormittag via WhatsApp. In Lavacolla hat er in aller Ruhe gefrühstückt, bevor er sich um viertel vor acht ganz entspannt und glücklich, bei strahlend blauem Himmel, auf die letzten elf Kilometer bis Santiago macht. Er ist fast allein auf dem Jakobsweg und genießt heute alles noch viel intensiver als sonst. Nach einer längeren Pause in Monte de Gonza, fühlt er sich wie magisch von der großen Kathedrale in Santiago angezogen. Auf den letzten Metern steht er neben einer jungen Pilgerin an einer Ampel. Die Frau schaut ihn strahlend an und erzählt ihm auf Englisch wie glücklich sie sei. Augenblicklich bekommt Gunter Morgenthal Gänsehaut und bestätigt, dass auch er total glücklich sei. Endlich vor der Kathedrale angekommen, trifft er auf zwei Amerikaner, die er unterwegs kennengelernt hatte. Die drei fallen sich glücklich in die Arme.
Nach dem Pilgerbüro, das seit seinem letzten Aufenthalt in Santiago umgezogen ist, muss er ein wenig suchen. Er stellt sich dort in einer langen Schlange an. Muss fast eine dreivierte Stunde warten, bis er endlich seine Compostela (Sternenfeld) in Empfang nehmen kann. Er erhält auch eine Urkunde, die bestätigt, dass er den Jakobsweg von Sant Jean Piet de Port bis nach Santiago de Compostela gepilgert ist.
Und wieder Gänsehaut
Doch jetzt muss er sich beeilen. Ihm bleiben nur noch zehn Minuten bis die Messe in der Kathedrale beginnt. Natürlich sind alle Plätze schon belegt, aber das macht nichts. Eine Nonne singt mit sehr schöner Stimme, während die Mönche den Botafumeiro (ein 50 Kilo schweres Weihrauchgefäß) durch das Kirchenschiff schwingen. Dazu das kraftvolle Orgelspiel – und wieder hat Gunter Morgenthal Gänsehaut.
Nach der Messe geht es in eine Pension, die er gestern schon telefonisch reserviert hat. Er bucht gleich die Übernachtungen vom 24. Bis 29. Juli, dem Tag seiner Heimreise. Heute Abend will er mit anderen Pilgern auf der so genannten Pilgermeile feiern. „Aber nicht zu doll“, schreibt er, denn schon morgen liegen weitere zehn Etappen vor dem Pilger aus Buxtehude.
Alle Etappen vom Jakobsweg finden Sie hier.