Jakobsweg: Ein zweites Mal in Santiago de Compostela

Wie geplant, hat Gunter Morgenthal gestern erneut Santiago de Compostela erreicht. 1.000 Kilometer ist er seit dem 8. Juni auf dem Jakobsweg gelaufen. Er ist unbeschreiblich glücklich und sich sicher, dass ihn diese Pilgerreise auf den Höhepunkt seines Lebens gebracht hat.

Kleine Odyssee auf dem Jakobsweg

PIlgern auf dem Jakobsweg

Zwische Finisterre und Santiago ist der Jakobsweg sehr schlecht gekennzeichnet. Alle Fotos: Gunter Morgenthal

20. Juli: Der „freie Tag“ in Finisterre ist mit vielen anderen Pilgern am Lagerfeuer am Strand erst sehr spät zu Ende gegangen. So hört Gunter Morgenthal seinen Wecker, den er schon auf 5.30 Uhr gestellt hat, nicht und wird erst gegen neun wach. „Aber das war mir der Abend wert“, schreibt er per WhatsApp „Die Meeresbrandung, die vom Mondlicht angestrahlt wurde, das Lagerfeuer, eine leise Gitarre im Hintergrund. Wer denkt da schon an den nächsten Tag“. Schweren Herzens verabschiedet er sich von seinen Mitpilgern und macht sich wieder auf den Camino Richtung Santiago. Anfangs klappt auch alles mit der Wegbeschreibung. Bis er an einen Punkt kommt, wo sich überhaupt kein Hinweis auf den richtigen Weg mehr findet. „Damit fing meine Odyssee an“, schreibt er. Nach gut zwei Stunden kommt ihm endlich ein älterer Einheimischer entgegen, den er nach dem Weg nach Muxia fragen kann.

Der Spanier meint, dass der Weg schwer zu erklären sei und bietet dem Pilger an, ihn solange zu begleiten, bis er wieder auf dem Jakobsweg sei. Nach etwa einer halben Stunde ist der Buxtehuder wieder auf dem Camino, der Spanier verabschiedet sich und bietet an, ihn mit dem Auto noch ein Stück zu fahren. Das lehnt Gunter Morgenthal selbstverständlich dankend ab. Weil er seine Wasserflasche in der Herberge vergessen hatte, hat er bis zu diesem Zeitpunkt noch nichts getrunken. Glücklicherweise bekommt er von Einheimischen eine eisgekühlte Flasche mit Wasser geschenkt. Nachdem er gleich gierig die Hälfte ausgetrunken hat, geht es weiter. Der Jakobsweg ist hier sehr schlecht ausgeschildert. Der Pilger verläuft sich immer wieder und muss nach dem Weg fragen. Gegen 16.00 Uhr entscheidet er in Lires, erst morgen weiter nach Muxia zu pilgern. Die verbleibenden 86 Kilometer nach Santiago muss er dann halt in drei Etappen gehen.

14 Stunden auf den Beinen

PIlgern auf dem Jakobsweg

Vielleicht hat sich Gunter Morgenthal auch nur verlaufen, weil er die daumendicke Raupe mit den Pfeilen verwechselte..

21. Juli: Nach der Odyssee gestern, nimmt sich Gunter Morgenthal vor, heute bis nach Dumbria zu pilgern. Nach dem Frühstück macht er sich um sieben auf den Weg. Der Camino ist wieder schlecht gekennzeichnet. Nur selten findet sich ein gelber Pfeil, so dass der 55-jährige mehrfach die falsche Richtung einschlägt. Er orientiert sich an Spuren anderer Pilger oder fragt sich durch. Als er gegen 21.00 Uhr endlich in der Herberge eintrifft, hat er das Gefühl, durch die vielen Umwege alles in allem wohl 45 statt 39 Kilometer gelaufen zu sein. Nach einer erfrischenden Dusche, holt er sich in einer benachbarten Bar noch schnell ein Bocadillo (Baguette) und etwas zu trinken, denn schon um 22.00 Uhr wird die Herberge verschlossen. Er hat Glück, bekommt ein Einzelzimmer mit Etagenbett, doch weil er das Fenster über Nacht offen lässt, machen sich unzählige Mücken über ihn her.

Pilgern im warmen Sprühregen

Pilgern auf dem Jakobsweg

Es ist stark bewölkt, aber warm.

22. Juli: Nach dem Frühstück macht sich Gunter Morgenthal gegen acht auf den Weg. 29 Kilometer bis Santa Mariña hat er sich für heute vorgenommen. Es ist stark bewölkt, aber warm. „Ich fühle mich echt super. Meine Kniebandage brauchte ich nicht mehr. Meine Leiste machte auch keine Probleme“, schreibt er.  „Dass meine Füße in einem hervorragenden Zustand sind, muss  ich ja nicht mehr erwähnen“, ergänzt er in Anspielung auf die Silbersocken, die ihn auf dem Jakobsweg bis hier hin vor Blasen bewahrt haben. Irgendwann fängt es an zu regnen – ein leichter warmer Sprühregen. Trotzdem zieht er keine Regenjacke an. „Die Klamotten sind eh jeden Tag durchgeschwitzt“. Er findet sogar Gefallen am Regen, denn die tolle Landschaft entschädigt für alles.

Eigentlich will er nicht ganz so viel laufen, aber auf diesem Teil des Jakobsweg gibt es nicht sehr viele Herbergen. Der Regen hört irgendwann auf, die Wolken verziehen sich und die Sonne kommt wieder öfter durch. Die Ausschilderung lässt noch immer zu wünschen übrig und der Pilger muss dauernd auf Spurensuche gehen. Dank vieler netter Spanier, die ihm die richtige Richtung weisen, kommt er um halb vier endlich in Santa Mariña an. Beim Abendesssen in der Albergue St. Mariña kommt er mit zwei jungen Deutschen, einem Chinesen und einen französischen Ehepaar ins Gespräch und verbringt mit ihnen einen schönen Abend.

Der Sonne entgegen

Pilgern auf dem Jakobsweg

Besser kann ein Tag nicht beginnen.

23. Juli: Heute Morgen heißt es Abschied nehmen von den neuen Freunden, denn sie pilgern alle in die andere Richtung. Mit dem französischen Paar geht Gunter Morgenthal noch gemeinsam frühstücken, bevor er sich gegen acht in Richtung Castelo (32 Kilometer) aufmacht. Der Himmel ist wieder strahlend blau, er geht der Sonne entgegen und seine Stimmung ist geradezu euphorisch: „Ich musste manchmal einfach so lachen. Schmetterlinge im Bauch“, schreibt er. „Mit jedem Kilometer freue ich mich mehr auf Santiago – und auf meine zweite Compostela“. Doch zuvor ist wieder eine Schnitzeljagd angesagt. Spurensuche. Oft weiß er nicht, ob er noch auf dem Camino ist oder nicht. Er richtet sich nach der Sonne, die zwischen zehn und elf Uhr stehen muss, wenn man Richtung Osten will.

In Negreira hat er schon 21 Kilometer auf dem Tacho und es ist bereits viertel nach drei.  In einem Touristen Büro fragt er nach der nächsten Herberge, die aber noch elf Kilometer entfernt ist. Man reserviert freundlicherweise ein Bett für ihn, bevor es weiter geht. Große Hitze. Gunter Morgenthal beißt die Zähne zusammen, denn am letzten Tag will er nicht mehr so viele Kilometer abreißen, damit er rechtzeitig zur Messe in Santiago ankommt. Kurz nach Lombao weist ein Schild den Weg zur Herberge. Castelo liegt 500 Meter neben dem Jakobsweg. Und das nach 32 Kilometern. Dafür entpuppt sich die Herberge, als er dort gegen halb sieben endlich eintrifft, als privates Einfamilienhaus mit tollem Garten und Ausblick.

Pilgern auf dem Jakobsweg.

In Negreira hat er schon 21 Kilometer auf dem Tacho und es ist bereits viertel nach drei.

Die zweite Compostela in Händen

Pilgern auf dem Jakobsweg24. Juli: Heute kann sich Gunter Morgenthal Zeit lassen. Nach einem gemeinsamen Frühstück mit dem Hospitalero und einem herzlichen Abschied, macht er sich wieder auf den Camino. Nur noch elf Kilometer! Blauer Himmel! Mit jedem Kilometer, den er Santiago näher kommt, fühlt er sich besser. In Alto do Vento macht er noch eine kurze Pause. Seine Schritte werden immer schneller und dann ist es endlich soweit: Santiago! Er eilt zum Pilgerbüro und dann zur Kathedrale. Aber null Chance, reinzukommen. Es ist zwar erst fünf Minuten nach zwölf, aber wegen Überfüllung kommt keiner mehr in die Kathedrale hinein.

„Was soll’s?“ schreibt er und geht seine zweite Compostela und die Bestätigungsurkunde für die zusätzliche Distanz von 210 Kilometern holen. Zurück auf dem Platz vor der Kathedrale, entfaltet er seine inzwischen drei Meter lange Credencial (4 zusammen geklebte Credenciales), um sie zu fotografieren. Lautes „Oh und Ah“ kommt von anderen Pilgern und auch ein spanisches Fernsehteam ist zur Stelle, um den Buxtehuder zu interviewen. Bevor er am Abend feiern geht schreibt er noch: „1.000 Kilometer und jetzt wird gefeiert! Heute flossen auch ein paar Tränen, aber ich bin mir absolut sicher, dass mich diese Pilgerreise auf den Höhepunkt meines Lebens gebracht hat“.

Pilgern auf dem Jakobsweg.

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage in Santiago!

Fiesta rund um die Kathedrale

Rund um die Kathedrale ist überall Fiesta angesagt, denn am 24. und 25. Juli wird der Ehrentag des heiligen Jakobus gefeiert. Gunter Morgenthal stürzt sich ins Getümmel. Überall sind große Bühnen aufgebaut und selbst in den Gassen hört man Trommler und Gaiteros (Dudelsackspieler), die erst in den frühen Morgenstunden wieder verstummen. Überall auf den Straßen tanzen die Menschen. Pünktlich um Mitternacht taucht ein großes Feuerwerk die Kathedrale in leuchtende Farben.

Pilgern auf dem Jakobsweg.

Santiago lebt und pulsiert in diesen Tagen.

25. Juli: Noch heute bekommt Gunter Morgenthal Gänsehaut, wenn er an die letzte Nacht denkt. Doch die Fiesta geht weiter: Von überall her schallt galizische Musik. „Mir fehlen die Worte, um diese wahnsinnige Energie, die gerade hier herrscht, zu beschreiben,“ schreibt er, bevor er sich wieder unter die Menschen mischt. In diesen Tagen lebt und pulsiert Santiago und unser Pilger ist mittendrin

Anmerkung der Redaktion: Alle Berichte zu Gunter Morgenthals Pilgereise auf dem Jakobsweg finden Sie hier.

 

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