Jakobsweg: Auf eintönige Etappen folgt ein Blütenmeer
Schon gegen Mittag ist Gunter Morgenthal gestern in Calzadilla de los Hermanillos angekommen. Die letzte Etappe auf dem Jakobsweg ist mit 14 Kilometern relativ kurz, so dass ihm viel Zeit bleibt, den Sonntag zu genießen.
Ein Bett im Kloster
23. Juni: In Boadilla del Camino marschiert Gunter Morgenthal schon um zwanzig vor sieben ohne Frühstück los. Er hat keine Lust mehr auf Tostados (aufgebackene Brötchen oder Baguette vom Vortag) und lauwarmen Kaffee. Gegen acht trifft er vor einer Cafeteria in Frómista Sascha und Walter, zwei Fahrradpilger, mit denen er den gestrigen Abend in der Herberge verbracht hatte, wieder. Sie amüsieren sich darüber, dass seine Hose bei einem letzten Kontrollblick unter das Bett am Morgen direkt über dem Allerwertesten der Länge nach gerissen ist. Glücklicherweise erweisen sich die Silbersocken als wesentlich robuster. Die beiden Radfahrer ziehen aber bald schon weiter und der Buxtehuder nimmt sich Zeit für ein ausgiebiges Frühstück. „Der Jakobsweg zeigt sich heute von seiner eintönigen Seite“, schreibt er per WhatsApp, stundenlang sei er neben einer kerzengeraden Landstraße gepilgert. Da gelte es einfach nur, Meter zu machen.
Zehn Kilometer vor Carrión de los Condes, seinem heutigen Etappenziel, wird es Zeit für eine kleine Pause und eine kühle Erfrischung, die er in einem Garten zwischen freilaufenden Hühnern, Enten, Gänsen, Hunden und zwei Eseln trinkt. Er lauscht der Musik, die von irgendwoher herüber klingt, beobachtet die Tiere und genießt die Entspannung im Schatten. Weiter geht’s, doch auf der Suche nach seiner Herberge, ist er einen Moment unachtsam, rutscht am Bordstein aus und kommt zu Fall. Ein Mann ist behilflich beim Aufstehen – zum Glück ist nichts gebrochen. Nach 25 Kilometern ist die Herberge, ein Kloster der Vinzentinerinnen, namens „Espìritu Santo“, gegen 13.00 Uhr erreicht. Hier haben die Schwestern ihr ehemaliges Mädchenwohnheim zur Herberge umfunktioniert und bieten Pilgern die Übernachtung in Einzelbetten. Doch jetzt wird es erst einmal Zeit, Nadel und Faden zu besorgen, um die Hose zu flicken.
Und wieder ein kerzengerader Camino
24. Juni: Das Bett im Kloster war super bequem und sogar mit Bettwäsche bezogen, ganz wie in einer Pension. Trotzdem hat Gunter Morgenthal schlecht geschlafen. Nach dem gestrigen Sturz schmerzt der rechte Oberarm. „Wahrscheinlich eine Prellung, wenn nicht sogar ein Muskelfaserriss“, schreibt er, „aber egal, nichts und niemand wird mich von meinem Camino abhalten können!“. Ein super Frühstück, gleich nebenan vom Kloster, entschädigt für die schlaflose Nacht. „Endlich mal kein geröstetes Brot vom Vortag!“ Aufbruch ist um 6.50 Uhr. Vor unserem Pilger liegen 17.4 Kilometer ohne Pause, denn bis Calzadilla de la Cueza gibt es weder Einkaufsmöglichkeiten noch Bars – nur wieder einen kerzengeraden Camino. Die vielen Steine, die 2009 diesen Teil der Strecke noch zur Tortur machten, wurden glücklicherweise beseitigt. Gegen zehn Uhr kommen endlich Häuser am Horizont in Sicht. Vor einer Herberge mit einer kleinen einladenden Bar, lässt er sich nieder und bestellt ein frisch Gezapftes und einen „Ensaladilla Russa“ (spanische Salatspezialität aus Kartoffeln, Eiern, Thunfisch, jungen Erbsen und Möhren). Nach einer knappen Stunde Erholung geht es weiter. Für die vor ihm liegenden gut sechs Kilometer bis Ledigos lässt er sich eineinhalb Stunden Zeit. Links und rechts des Jakobsweg steht die Natur in voller Blüte und verwöhnt Gunter Morgenthal mit den berauschendsten Düften.
Das Pilgermenü an diesem Abend ist eine Enttäuschung: Koteletts hart wie Schuhsohlen. Auf seine Beschwerde hin, bekommt er ein neues. Auch nicht viel besser: innen noch ein bisschen roh. „Für ein Steak ok, aber ein Kotelett?“ schreibt der Pilger, aber er hat ja genug Vino Tinto zum Hinunterspülen. Und so geht unser Pilger heute ein wenig angeschnasselt kurze Zeit später ins Bett.
2.500 Kilometer mit dem Fahrrad
25. Juni: Nachdem sich Gunter Morgenthal sehr viel Zeit beim Frühstück gelassen hat, geht es um zehn vor acht bei strahlend blauem Himmel und leicht kühlem Wind ganz gemütlich los. Ziel: das 16,3 Kilometer entfernte Sahagún. Die herrlichen gelben Blüten mit dem wunderbaren Duft begleiteten ihn weiter auf seinem Weg über den Camino, bis er Terradillos de los Templarius erreicht. Ein bestialischer Gestank, der von einer Schweinemastanlage stammt, liegt über dem Ort, ist kaum zu ertragen – und das am frühen Morgen. Bloß schnell weiter! Nach einer ausgedehnten Pause in San Nicolás del Real Camino, kommt er dann doch noch ganz entspannt gegen halb eins in der Herberge in „Sahagún“ an. Am Abend trifft er Viktor, einen deutschen Fahrradpilger aus Siegen. Beim gemeinsamen Pilgermenü erzählt der pensionierte Schulleiter, dass er schon seit dem 5. Mai unterwegs sei und sich damit einen lang gehegten Traum erfülle. Von Siegen aus habe er mittlerweile schon rund 2.500 Kilometer auf dem Tacho.
Ein toller Tag zum Pilgern
26. Juni: Beim Frühstück setzen der Pilger und der Fahrradpilger ihre Unterhaltung vom Vorabend fort, bis sich gegen acht Uhr ihre Wege wieder trennen. Für heute hat sich Gunter Morgenthal nur eine Kurzstrecke von etwa 14 Kilometer bis nach Calzadilla de los Hermanillos vorgenommen. Er wählt die Route, die ihn über den Calzada romana (den Römerweg) führt. Ein paar Kräfte sparen kann nicht schaden, denn schon morgen warten knapp 25 Kilometer Camino auf ihn, auf denen es weder eine Herberge noch eine Bar zum Pausieren gibt. Er lässt sich viel Zeit. Der Himmel ist blau und ein leichter Wind bringt angenehme Kühlung. Der Jakobsweg zeigt sich jetzt von seiner schönen Seite mit vielen schattenspendenden Bäumen am Wegesrand. Bei Kaffee und Croissant legt er nach fünf Kilometern die erste Pause ein und verweilt später noch einmal unter einem Baum, bis er gegen 12 Uhr sein heutiges Ziel erreicht.